#2/20 PAG-Reform

Stellungnahme des Bayerischen Richtervereins zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und weiterer Rechtsvorschriften

 

Der Bayerische Richterverein e.V. hat sich bereits in seiner ersten Stellungnahme zum Gesetz zur effektiven Überwachung gefährlicher Personen vom 24.07.2017 zum Grundgedanken des damaligen Gesetzentwurfs bekannt, Bedrohungen des inneren Friedens und der inneren Sicherheit durch gesetzliche Vorgaben schon präventiv zu verhindern. Gleichzeitig hat er aber auch davor gewarnt, in dem Bemühen, Sicherheit und Ordnung im Staat zu wahren und zu schützen, grundlegende Verfassungsprinzipien, namentlich die unveräußerlichen Freiheitsrechte des Einzelnen, uneingeschränkt zur Disposition zu stellen. Insbesondere die umfangreichen Möglichkeiten einer Gewahrsamsanordnung bei Gefahr oder drohender Gefahr für bedeutende Rechtsgüter, der weite Anwendungsbereich des Begriffs der „bedeutenden Rechtsgüter“ sowie die zeitlichen Vorgaben für die Gewahrsamsanordnung begegneten damals von hiesiger Seite erheblichen Bedenken.

Vor diesem Hintergrund begrüßt der BRV das Anliegen des vorliegenden Gesetzentwurfs, die Voraussetzungen für die Gewahrsamsanordnung zu konkretisieren und zu schärfen. Auch die sonstigen Überlegungen zur Stärkung der Rechte der Betroffenen, namentlich durch die Einführung von weiteren Richtervorbehalten, werden im Grundsatz unterstützt.

Aus Sicht der justiziellen Praxis darf insoweit jedoch nicht verkannt werden, dass die Einführung weiterer Richtervorbehalte in jedem Fall erheblichen Personalmehraufwand für die Justiz mit sich bringt. Bereits die nach geltender Rechtslage im PAG vorgesehenen Richtervorbehalte haben in der Praxis für deutliche Mehrbelastungen gesorgt. Da viele der Maßnahmen Eilentscheidungen sind, die häufig außerhalb der regulären Geschäftszeiten zu treffen sind, werden die organisatorischen Vorkehrungen der Justiz, namentlich bei der Organisation des gerichtlichen Bereitschaftsdiensts, stark gefordert. Insoweit ist erfreulich, dass im Gesetzentwurf bereits ein konkreter Mehrbedarf von 8 Richterplanstellen und 5 Planstellen für den nichtrichterlichen Dienst angemeldet wird. 

Es scheint indes aus hiesiger Sicht ausgeschlossen, dass diese Planungen den konkreten Mehrbedarf zutreffend abbilden. Bereits jetzt ist festzustellen, dass Entscheidungen über PAG-Maßnahmen einen erheblichen Anteil der Tätigkeit im richterlichen Bereitschaftsdienst ausmachen. Aufgrund der Vielschichtigkeit der Sachverhalte und ihrer Komplexität handelt es dabei auch regelmäßig um umfangreiche, zeitaufwändige Entscheidungen. Wenn nun aufgrund der Steigerung der Richtervorbehalte ein weiterer Anstieg dieser Belastung zu erwarten ist, entsteht deutlicher personeller Mehrbedarf, insbesondere für die – aus Sicht der Praxis in Zukunft weiter zu fördernde - Einrichtung und Aufrechterhaltung von konzentrierten Bereitschaftsdiensten über einzelne Gerichtsgrenzen hinaus. Gerade in diesem Bereich entsteht aber regelmäßig deutlicher Personalmehrbedarf. Insbesondere ist auch der nichtrichterliche Dienst dringend zu verstärken, da sich in der Praxis zur Zeit organisatorische Schwierigkeiten vielfach daraus ergeben, dass Unterstützungspersonal in ausreichender Zahl fehlt.

Zu den geplanten Änderungen im Einzelnen:

1. Legaldefinition von „konkreter Gefahr“ (Art. 11 Abs. 1 Satz 2 PAG-E) und „drohender Gefahr“ (Art. 11a Abs. 1 PAG-E)

Die vorgesehene Regelung, wonach sowohl der Begriff der konkreten als auch der drohenden Gefahr definiert werden und die allgemeinen polizeilichen Befugnisse in zwei getrennten Normen für beide Gefahrengrade getrennt geregelt werden, ist sachgerecht. Insbesondere ist die Definition der drohenden Gefahr geeignet, ihren Anwendungsbereich auch für die Bürgerinnen und Bürger klarer zu umreißen und die gerade in der kritischen öffentlichen Diskussion häufig vermengten Begriffe voneinander abzugrenzen. Dabei ist aus hiesiger Sicht die getrennte Regelung in getrennten Artikeln nicht nur aus Transparenzgründen zu begrüßen, sondern dient auch durch die ausdrückliche Subsidiaritätsklausel des Art. 11a Abs. 1 Satz 1 PAG-E zur (für die Praxis wichtigen) Klarstellung des Vorrangs der konkreten vor der drohenden Gefahr. 

2. Schärfung des Begriffs der „bedeutenden Rechtsgüter“ gem. Art. 11a Abs. 2 PAG-E

Das Bestreben des Gesetzentwurfs, entsprechend den Empfehlungen der PAG-Kommission den Begriff der „bedeutenden Rechtsgüter“ im Sinne des Art. 11a PAG-E (bisher Art. 11 Abs. 3 Satz 2 PAG) einzuschränken und zu schärfen, wird uneingeschränkt unterstützt. Der BRV hat in der Vergangenheit wiederholt darauf verwiesen, dass aus seiner Sicht insbesondere die bisherigen Kategorien der „erheblichen Eigentumspositionen“ (Art. 11 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 PAG) sowie der „Sachen, deren Erhalt im besonderen öffentlichen Interesse liegt“ (Art. 11 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 PAG) zu weit gefasst und zu unbestimmt sind, um u.U. weitreichende polizeiliche Eingriffsbefugnisse bei lediglich drohender Gefahr auszulösen. Auch unter Anwendung der in der Rechtsprechung anerkannten „Je-desto-Formel“ bleiben bei Verwendung derart weiter unbestimmter Rechtsbegriffe Unsicherheiten, die die Vorschrift auch für die Praxis im Einzelfall schwer handhabbar machen. Die geplante Neuregelung führt demgegenüber zu einer angemessenen Einschränkung und Klarstellung der Eingriffsbefugnisse. Insbesondere ist aus hiesiger Sicht zu begrüßen, dass „erhebliche Eigentumspositionen“ nunmehr nicht mehr zu den bedeutenden Rechtsgütern gehören, deren nur drohende Gefährdung polizeiliche Eingriffsbefugnisse i.S. des Art. 11a PAG-E auslösen kann. Ohne die Bedeutung des polizeilichen Schutzes von Privateigentum zu verkennen, ist es doch sachgerecht, diesen Schutz im Bereich der nur drohenden Gefahr zu relativieren.

Auch die Schärfung der bisherigen Kategorie „Sachen, deren Erhalt im besonderen öffentlichen Interesse liegt“ (Art. 11 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 PAG) ist im Interesse von Transparenz und Rechtssicherheit sachgerecht. Zwar sind auch die nun vorgesehenen Kategorien „Anlagen der kritischen Infrastruktur sowie Kulturgüter von mindestens überregionalem Rang“ auslegungsbedürftig, jedoch geben diese Begriffe immerhin hinreichend konkrete Anhaltspunkte, welcher Art das „besondere öffentliche Interesse“ sein muss, um eine Sache dem Schutzbereich des Art. 11a PAG-E zu unterstellen.

Bedenken begegnet demgegenüber die vorgesehene Einschränkung der bisherigen Kategorie „sexuelle Selbstbestimmung“ (Art. 11 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 PAG) durch Bezugnahme auf den für die Tat vorgesehenen Mindeststrafrahmen von 3 Monaten (Art. 11a Abs. 2 Nr. 3 PAG-E). Angesichts der Tatsache, dass nahezu alle relevanten Straftatbestände im Bereich der §§ 174 ff. StGB mit einer Mindeststrafe von jedenfalls 3 Monaten bedroht sind, blieben mit der vorgesehenen Einschränkung tatsächlich allenfalls Delikte ausgeschlossen, bei deren drohender Gefahr schon nach der „Je-desto-Formel“ ein polizeiliches Einschreiten ausgeschlossen scheint. Sofern also eine Einschränkung dieser Kategorie entsprechend den Empfehlungen der PAG-Kommission angestrebt wird, sollte der Maßstab überdacht werden.

3. Identitätsfeststellung an polizeilichen Kontrollstellen (Art. 13 Abs. 4 lit. c PAG-E)

Demgegenüber scheint die geplante Neuregelung einer möglichen Identitätsfeststellung an polizeilichen Kontrollstellen, die in „spezifische polizeiliche Ermittlungsstrategien der Gefahrenabwehr“ eingebunden sind, den erklärten Zielen des Gesetzentwurfs, die bisherigen Regelungen im Interesse der Transparenz und rechtsstaatlichen Kontrolle zu schärfen und zu präzisieren, zuwider zu laufen. Auch unter Berücksichtigung der Entwurfsbegründung ist diese Formulierung so unbestimmt und schwer fassbar, dass sie einer Generalklausel zur polizeilichen Identitätsfeststellung gleichkommt. Aus hiesiger Sicht ist daher eine Präzisierung in diesem Punkt unbedingt angezeigt.

4. Erkennungsdienstliche Maßnahmen (Art. 14 PAG-E)

Die vorgesehenen Klarstellungen und Ergänzungen im Rahmen der erkennungsdienstlichen Maßnahmen (Art. 14 PAG) sind aus hiesiger Sicht sachgerecht. Insbesondere wird im Interesse der Transparenz begrüßt, dass hier – wie auch bei anderen Eingriffsmaßnahmen – der Richtervorbehalt nunmehr unmittelbar innerhalb der Eingriffsnorm geregelt wird, und zwar sowohl hinsichtlich der Anordnung der Entnahme von Körperzellen (Art. 14 Abs. 3 PAG-E), als auch hinsichtlich der Festhaltung des Betroffenen zur Ermöglichung der Entnahme (Art. 14 Abs. 7 PAG-E). Auch die Regelungen zum Verfahren bei der Probenentnahme und der Durchführung der molekulargenetischen Untersuchung, mit denen der Gleichlauf mit den Regelungen der StPO hergestellt wird, sind zur Klarstellung sinnvoll. Schließlich dienen insbesondere die Regelungen in Art. 14 Abs. 6 PAG-E zur weiteren Verfahrensweise hinsichtlich der entnommenen Körperzellen sowie der erkennungsdienstlichen Unterlagen der Rechtssicherheit und sind daher zu begrüßen.

5. Verkürzung der Höchstdauer der Freiheitsentziehung (Art. 20 PAG-E)

Aus Sicht des BRV ist die geplante strikte Begrenzung der (einmaligen) Freiheitsentziehung auf einen Monat und die absolute Höchstdauer von zwei Monaten in hohem Maße sachgerecht. Insoweit wird Bezug genommen auf die frühere Stellungnahme des BRV zur bisherigen Höchstdauer der Freiheitsentziehung im Bereich präventiver Maßnahmen.

6. Richtervorbehalt bei Verwertung von Body-Cam-Aufzeichnungen in Wohnungen zum Zweck der Gefahrenabwehr (Art. 33 Abs. 4 Satz 5 PAG-E)

Die Einführung eines weiteren Richtervorbehalts im Zusammenhang mit der Verwertung von Body-Cam-Aufzeichnungen in Wohnungen zum Zweck der Gefahrenabwehr begegnet keinen Bedenken. Insbesondere dürften sich relevante Verzögerungen bei Nichterreichbarkeit oder in besonders dringlichen Gefahrenlagen aufgrund der Möglichkeiten des Art. 95 PAG nicht ergeben.

7. Neuregelung des IX. Abschnitts – Richtervorbehalte; gerichtliches Verfahren

Die Zusammenfassung aller Vorschriften zum gerichtlichen Verfahren ist aus Gründen der Transparenz und Rechtssicherheit, aber auch der Anwendbarkeit für die justizielle Praxis, sachgerecht. 


Andrea Titz
Vorsitzende