Der Rechtsstaat ist in der Krise (heraus-)gefordert

Der Bayerische Richterverein e.V. (BRV), mit über 2.900 Mitgliedern größter Berufsverband der Richter und Staatsanwälte in Bayern, hat sich auf seinem heute in Nürnberg zu Ende gegangenen dreitägigen Verbandskongress mit den aktuellen Fragestellungen einer modernen und zukunftsfähigen Justiz in Bayern befasst und eine neue Verbandsspitze gewählt.

Die sog. Flüchtlingskrise mit allen Folgeerscheinungen von der Integrationsproblematik bis zum islamistischen Terror, die Veränderung des politischen Umfeldes von der Krise der Volksparteien bis zum radikalisierten und radikalisierenden Populismus, die Folgen der Globalisierung und Digitalisierung, die nicht selten durch soziale Medien befeuerte Furcht vor Kriminalität, die Einschränkung von Bürgerrechten durch staatliche Pandemiemaßnahmen – all dies ruft bei den Menschen Ängste hervor, denen es zu begegnen gilt, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt im demokratischen Gemeinwesen nicht zu gefährden. Die Delegierten waren sich einig, dass die Justiz in einer solchen Situation als stabilisierendes Element des demokratischen Staatswesens in besonderem Maße gefordert und zu unterstützen ist.

Mit großer Mehrheit wählte die Delegiertenversammlung die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht München Barbara Stockinger zur neuen Vorsitzenden als Nachfolgerin von Andrea Titz, die sich nicht mehr zur Wahl stellte. Stellvertretende Vorsitzende bleiben Lore Sprickmann Kerkerinck aus München und Franz Truppei aus Bamberg.

In ihrer Antrittsrede umriss Stockinger die Zielsetzungen der künftigen Verbandsarbeit und betonte die Rolle der Justiz als Garant des Rechtsstaats in Krisenzeiten und die gemeinsame Verantwortung mit der Politik für die Bürgerinnen und Bürger. „Eine Justiz, die als Stabilitäts-, Sicherheits- und Standortfaktor unseres Landes den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft gewachsen sein soll, gibt es nicht zum Nulltarif,“ so Stockinger. Die Zeiten eklatanter Personallücken und beschämender Arbeitsplatzsituationen müssten ein Ende haben, um mit hoch qualifizierten und engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Funktionsfähigkeit der Justiz aufrecht erhalten zu können. Vorrangiges Ziel des BRV als Berufsverband sei es daher, durch Einforderung bestmöglicher Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Justiz den Rechtsgewährungsanspruch der Bürgerinnen und Bürger auch in Zukunft zu sichern.

Stockinger abschließend: „Wir Richter und Staatsanwälte schulden den Menschen Rechtssicherheit, und die Politik schuldet der Justiz die erforderlichen Ressourcen. Wer den Rechtsstaat schwächt, sägt an dem Ast, der unser freiheitlich-demokratisches Gemeinwesen trägt. Er wird sich vor den Bürgerinnen und Bürgern dafür verantworten müssen.“

Zur Person:

Barbara Stockinger (57) begann ihre berufliche Laufbahn 1993 als Proberichterin am Amtsgericht Weilheim. Im Rahmen des in Bayern üblichen Laufbahnwechsels wurde sie 1994 zur Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft München I ernannt. Nach weiteren Stationen als Amtsrichterin in Wolfratshausen, Gruppenleiterin und Oberstaatsanwältin wiederum bei der Staatsanwaltschaft München I und schließlich Richterin am Oberlandesgericht München wurde sie im Jahr 2020 zur Vorsitzenden Richterin am Oberlandesgericht München ernannt, wo sie den Vorsitz eines Strafsenats innehat.

Seit 2020 ist sie Co-Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, dem Dachverband der Richtervereinigungen der Landes- und Fachverbände.