#1/20 Besoldung

Die nachfolgende Stellungnahme in Besoldungsangelegenheiten ergeht anlässlich der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 04.05.2020 (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 04.05.2020 – 2 BvL 4/18; im Folgenden: Beschluss I; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 04.05.2020 – 2 BvL 6/17; im Folgenden: Beschluss II), veröffentlicht am 28. und 29. Juli 2020.

1. Ausgangssachverhalt

Das BVerfG hat im Verfahren einer konkreten Normenkontrolle (Art. 100 Abs. 1 GG) die Verfassungswidrigkeit der Richterbesoldung im Land Berlin in den Jahren 2009 bis 2015 (Beschluss I) sowie im Verfahren einer konkreten Normenkontrolle die Verfassungswidrigkeit der Alimentation von kinderreichen Richtern und Staatsanwälten im Land Nordrhein-Westfalen (Beschluss II) festgestellt.

In beiden Entscheidungen hat das BVerfG seine bereits mit Urteil vom 05.05.2015 (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 05.05.2015 – 2 BvL 17/09 u. a. –; im Folgenden: Urteil) aufgestellten Grundsätze zur fachgerichtlichen Überprüfung des Besoldungsniveaus der Richter und Staatsanwälte – und ebenso der Beamten – bestätigt, vertieft und erweitert.

Als auch für das Besoldungsniveau im Freistaat Bayern beachtliche Novation kann zunächst festgehalten werden, dass nach der neueren Rechtsprechung bereits die „Verletzung“ von selbst nur einem der insgesamt fünf „volkswirtschaftlich orientierten“ Parameter der sogenannte ersten Stufe ausreichen kann, um in einer weitergehende Prüfung des Vorliegens einer evident verfassungswidrig (zu) niedrigen Besoldung einzutreten (vgl. insb. LS 6 Beschluss I).

Hinzu tritt, dass der bislang in Bayern vernachlässigbare vierte Parameter, der systeminterne Besoldungsvergleich, eine weitere Ausprägung erfahren hat. Bei diesem ist nunmehr nicht mehr nur zu prüfen, ob das Besoldungsgefüge, namentlich unter Wahrung des besoldungsrechtlichen Abstandsgebots, „in sich“ stimmig ist. Vielmehr ist auch zu prüfen, ob das „unterste“ Besoldungsniveau dem Alimentationsanspruch gerecht wird und namentlich einen hinreichenden Abstand zur sozialrechtlichen Grundsicherung wahrt (vgl. insb. LS 5 Beschluss I).

Darüber hinaus sind, sofern auch nur ein Parameter eine Vermutung verfassungswidrig zu niedriger Besoldung indiziert, auf der zweiten Prüfungsstufe die alimentationsrelevanten Kriterien, hier insbesondere die qualitätssichernde Funktion des Besoldungsniveaus, zu überprüfen (vgl. LS 6 Beschluss I).

Daneben ist bei kinderreichen Richtern und Staatsanwälten – zusätzlich – in den Blick zu nehmen, ob deren Alimentation angesichts der Unterhaltspflicht für drei, vier oder noch mehr Kinder verfassungskonform ausgestaltet ist. Hieran fehlt es, wenn der verfassungsrechtlich gebotene Mindestabstand zu einer vergleichbaren sozialrechtlichen Grundsicherung fehlt (vgl. insb. LS 2 Beschluss II).

2. Bewertung

Die neue Rechtsprechung darf als Reaktion auf die Bemühungen zahlreicher Landesregierungen und Haushaltsgesetzgeber angesehen werden, die im Urteil von 2015 gezogenen „absoluten roten Linien“ möglichst haarscharf – also „gerade noch so“ – einzuhalten. Im Zuge verschiedener Sitzungen der Besoldungskommission des DRB wie auch Treffen der Besoldungsexperten der Landesverbände wurde deutlich, dass verschiedentlich „bis auf den letzten Cent“ Bemühungen unternommen worden sind, sich bis auf die zweite Nachkommastelle an die vorgegebenen Grenzen „heranzurechnen“. Das oft gefallene Schlagwort vom „Wettlauf der Schäbigkeit“ dürfte zutreffen.

Die „Idee“ der Konstruktion eines absoluten Mindestbesoldungsniveaus war bereits bei den Beratungen zum Urteil 2015 „in der Welt“. Seinerzeit stieß die Implementierung eines solchen Kriteriums am BVerfG auf Vorbehalte, weil damit allenfalls – wie jetzt auch geschehen – eine „Mindestbesoldung“ auf „niedrigster Stufe“, nämlich dem denkbaren niedrigsten Eingangsamt – im Freistaat Bayern derzeit A3 – möglich gewesen wäre und jetzt auch ist.

In der Erwartung auf eine gewisse „Organtreue“ des Bundes und der Länder war, auch vor dem Hintergrund des unverändert eröffneten Einschätzungsspielraums des Besoldungs- und Haushaltsgesetzgebers im Bund sowie in den Ländern, von einer solchen „Notmaßnahme“ Abstand genommen worden. Ausdrücklich überlassen beide Entscheidungen es konsequenterweise auch unverändert dem Besoldungsgesetzgeber, bei Feststellung einer evident verfassungswidrigen Unteralimentation mit Blick auf den nicht gewahrten Abstand zum sozialrechtlichen Grundsicherungsniveau entsprechende Konsequenzen im Hinblick auf die vom „Tabellenfuß“ ausgehenden notwendigen Erhöhungen, sowohl „horizontal“ in den früheren Dienstalters- und heutigen Erfahrungsstufen als auch „vertikal“ in den „darüber liegenden“ höheren Besoldungsgruppen zu ziehen.

Insgesamt eröffnet die neue Rechtsprechung indessen einen deutlich früheren Einstieg in eine umfassende und namentlich nicht schon auf der (Vor-)Stufe rein volkswirtschaftlicher Prüfung „stehen bleibende“ Gesamtwürdigung, bei der ausdrücklich unter anderem auch in etwaiger Rückgang im Bewerbungs- und Einstellungsniveau, ausgehend von den Ergebnissen aller eingestellten Bewerber in den beiden Staatsprüfungen, Berücksichtigung zu finden hat (vgl. Beschluss I, Rn. 88: „<...> wenn in größerem Umfang Bewerber zum Zuge kommen, die nicht in beiden Examina ein Prädikatsexamen <„vollbefriedigend“ oder besser> erreicht haben.“).

3. Konsequenzen für den Freistaat Bayern

Bereits im Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Anpassung der Bezüge 2019/2020/2021 vom 14.05.2019 (LT-Drs. 18/4986, S. 55 f.) musste die bayerische Staatsregierung einräumen, dass jedenfalls einer der – damaligen – fünf Parameter in Bayern ganz eindeutig „gerissen“ ist, nämlich die Konvergenz zwischen der Besoldungsentwicklung und der Nominallohnentwicklung über die vergangenen 15 %. Diese hat sich um 6,57 % zu Lasten der Richter, Staatsanwälte und Beamten auseinanderentwickelt. Ähnliches, aber unter der relevanten 5,0 %-Schwelle, gilt für die Konvergenz zwischen der Besoldungsentwicklung und der öffentlichen Tariflohnentwicklung, hier hat die Beamtenbesoldung 1,27 % „verloren“.

Durch die dem letzten Tarifabschluss entsprechenden Besoldungserhöhungen per 01.01.2019 (+ 3,2 %) sowie per 01.01.2020 (+ 3,2 %) wie auch durch die derzeit noch kommende weitere Erhöhung per 01.01.2021 (+ 1,4 %) einerseits als auch durch den Anstieg des Nominallohnniveaus 2019 (+ 2,6 %) hat und wird sich an beiden Parameterbewertungen nichts, insbesondere nichts Signifikantes, ändern.

Es darf insoweit festgestellt werden, dass auch nach bisheriger Rechtsprechung immerhin ein „Besoldungs-Parameter“ für die Vermutung einer verfassungswidrig niedrigen Besoldung auch in Bayern spricht.

Nach der neuen Rechtsprechung kann dies nun auch für den bislang vernachlässigbaren vierten Parameter festgestellt werden: Die verfassungsrechtlich gebotene Mindestalimentation am „Tabellenfuß“, A3 Erfahrungsstufe 2, liegt – deutlich – unter dem sozialrechtlichen Grundsicherungsniveau in der Betrachtung des BVerfG. Selbst auf dem Besoldungsniveau 2020 ließe sich ein Erreichen des von Verfassungs wegen geforderten Mindestniveaus dieser „Eingangsbesoldung“ im Jahre 2015 nicht positiv feststellen.

Das Gleiche gilt für die Alimentation kinderreicher Familien, nachdem hier der gegenwärtige „Zuschlag“ in Gestalt des Familienzuschlags der Stufen 4 (drei Kinder) und 5 (vier Kinder) nicht dem verfassungsrechtlich gebotenen Mindestniveau über der sozialrechtlichen Grundsicherung besteh.

Bei der vor diesem Hintergrund gebotenen Gesamtwürdigung, auch des einzig für den Freistaat Bayern „positiven“ fünften Parameters, des Vergleichs mit der durchschnittlichen Besoldung im Bund und den übrigen Ländern, sofern deren Besoldungsniveau nicht ihrerseits evident verfassungswidrig ist, ergibt sich angesichts der auch im Freistaat Bayern in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunkenen Einstellungsvoraussetzungen meines Erachtens eine hinreichend berechtigte Annahme, dass – auch – im Freistaat Bayern ein evident verfassungswidriges Besoldungsniveau vermutet werden kann.

Die in beiden Entscheidungen betonte (nur) ausnahmsweise Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung einer vorübergehenden Unteralimentation vermag ich gegenwärtig nicht zu erkennen, nachdem hierfür der Nachweis für gleichheitsgerecht erwirtschafteten Einsparungen seitens der bayerischen Staatsregierung erforderlich wäre (vgl. insb. Beschluss I, Rn. 179).

4. Conclusio

Zusammenfassend erlaube ich mir als Referent für das Dienstrecht und Besoldungswesen gegenüber dem Landesvorstand im Zuge der vorliegenden Stellungnahme die Empfehlung auszusprechen, alle Mitglieder des Bayerischen Richtervereins über die aktuelle Entwicklung in der vorgenannten Rechtsprechung zu informieren.

Zur Durchsetzung und Wahrung etwaig individuell zu verfolgen beabsichtigter Ansprüche wäre meines Erachtens die (zeitnahe) Stellung eines Antrags auf verfassungskonforme Besoldung, gegebenenfalls auch unter ausdrücklicher Erweiterung auf verfassungskonforme Alimentation kinderreicher Familien, zu stellen (vgl. insoweit auch Beschluss I, Rn. 183; Beschluss II, Rn. 95).

In der Vergangenheit waren „Widersprüche“ gegen die (letzte) Bezügemitteilung von Amts wegen in entsprechende Anträge umgedeutet – und anschlieI end als solche zurückgewiesen – worden. Aufgrund der gegenwärtigen Praxis, mit jeder Bezügemitteilung eine Art „negative“ Rechtsbehelfsbelehrung zu übersenden, aus der hervorgeht, dass jedenfalls die Landesverwaltung in der Bezügemitteilung nur eine informatorische Unterrichtung erblickt, besteht die Möglichkeit, dass erneute „Widersprüche“ entweder ignoriert oder schlichtweg formlos „zurückgewiesen“ werden.

Ob und inwieweit dies vor dem Hintergrund, dass insbesondere im zuletzt vor dem Bundesverwaltungsgericht anhängigen Verfahren, dessen Normenkontrollvorlage zum Ergehen des Beschlusses I geführt hat, im Land Berlin „Widersprüche“ und anschlieI end sodann Anfechtungs- und Feststellungsklagen erhoben worden sind (Verfahrensgang: VG Berlin, Urt. v. 21.11.2012 – 26 K 255.09 –, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 12.10.2016 – OVG 4 B 37.12 – juris; – jeweils Klageabweisung –; sodann BVerwG, Vorlagebeschluss v. 22.09.2017 – 2 C 56/16 u. a. –, juris) haltbar wäre, vermag ich gegenwärtig nicht abschlieI end zu beurteilen.

Die bayerische Verwaltungsgerichtsrechtsprechung tendiert aber offenbar dazu, die richtige Klageart für das Begehren auf angemessene Besoldung die allgemeine Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 VwGO) als – einzig – statthafte Klageart anzusehen (so BayVGH, Urt. v. 23.10.20218 – 3 BV 16.382 –, juris, Rn. 15), was gegen die Statthaftigkeit eines regelmäI ig zur Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) führenden Widerspruchs spricht.

Richter am Landgericht Dr. Dirk Diehm
Oberlandesgericht Bamberg